Andreas Gursky Werke 80-08

Noch bis zum 25. Januar 2009 ist in Krefeld eine Werkschau des bekanntesten zeitgenössischen deutschen Fotografen zu sehen, die wirklich aufregend ist. Und das in mehrfachem Sinne. Spannend ist die Werkschau, weil sie eine Entwicklung offenbart, sehr persönlich ist, und man viel über den Status der Fotografie ablesen kann. Aufregend im Sinne von ärgerlich oder besser: enttäuschend, ist die gewählte Präsentation.

Endlich gibt es einen Fotokünstler, der anerkannt und so berühmt ist, dass über ihn in der Tagesschau berichtet wird. Das ist wichtig, damit der Fotografie in unserem von der Malerei geprägten Kulturkreis allgemeine Anerkennung zuteil wird. Darum wäre zu wünschen, Andreas Gursky würde sich der Verantwortung bewusst sein, die ihm als „Promi“ zugewachsen ist: Die Fotografie als ernstzunehmende Ausdrucksform im allgemeinen Bewusstsein zu verankern. Er alleine kann auch Laien beeindrucken: weil er der teuerste deutsche Fotograf ist, und weil er durch die Größe (und Qualität) seiner Arbeiten die Betrachter überwältigt. Doch mit der Ausstellung in Krefeld spielt Gursky wieder jenen Ignoranten die Trümpfe zu, die in dieser großkotzigen Das-kann-ich-auch-Attitüde durch Fotoausstellungen schlendern (Beleg). Und es gehen viele Menschen durch diese Ausstellung – so viele, dass sich in den engen Fluren und kleinen Räumen von Haus Lange und Haus Esters Staus bildeten.

Die beiden zu Museen umfunktionierten Privathäuser im Krefelder Villenviertel wurden von Mies van der Rohe gebaut und sind samt Außenanlage (Gartenfreunde aufgemerkt: Rasenkarrees mit Stahlkanten!) schon alleine einen Besuch wert, aber ganz ungeeignet für die großen Formate der Gursky-Bilder. Einige hängen trotzdem dort. Vor lauter Spiegelung (siehe Tagesschau-Video) und schlechter Beleuchtung hat man auch daran nur wenig Freude. Ein wirklich großartiges, die Macht und Möglichkeit der Fotografie demonstrierendes Bild wie „F1 Boxenstopp IV“ ist in dem kleinen Raum kaum zu überblicken, und immer nur partiell zu erkennen.

Künstlerisch verständlich, pädagogisch ein Desaster

Warum stellt Gursky in Räumen aus, die dafür ungeeignet sind? Seine Motivation war wohl, dass hier 1989 seine erste Museumsausstellung gezeigt wurde, und es eine nette Geste ist, die Werkschau nun wieder hier stattfinden zu lassen. Vielleicht hat er auch die Intimität des Ateliers, in dem er seine Motive erst einmal als A3-Abzüge betrachtet, in diese Umgebung übertragen wollen. Das ist verständlich, funktioniert aber nicht. Wenn man berühmt ist, fungiert man als Publikumsmagnet, und da kommen folglich überwiegend die Fotografieunkundigen, die eben genau die nötige Transferleistung, sich das Kleine als Großes vorzustellen, gar nicht erbringen können (und können müssen). In meiner Liste der 10 lehrreichsten Fotografen steht bei Gursky: „den Sozialneid beiseite lassen und die Originale ansehen! Jedes Schrumpfen auf Buchgröße vermittelt einen vollkommen irreführenden Eindruck.“ Und genau so ist es in Krefeld.

Präsentiert werden Prints ohne Passepartouts in vermutlich eigens angefertigten Rahmen, bei denen die Glasscheibe in Abstand zum Druck angebracht ist. Das könnte dem Ganzen den Charakter eines Objektes geben, vermittelt aber leider den Charme von an die Wand gehängten Katalogseiten. Wie schade. Hinzu kommt, dass ein paar ganz schreckliche Fotos darunter sind. Das schlimmste an einer schlimmen Wand ist eines einer Brücke im Tropischen, das teilweise schwarzweiß ist (oder soweit entsättigt, dass die Farbe fehlt), ein Motiv und eine Technik, die man von Hochzeitsfotografen und vom Wegsehen kennt.
Als „Fotogott“ kann man sich natürlich auch erlauben, einen Jackson Pollock zu einem Wandmuster zu degradieren und nicht einmal den Namen zu nennen. Ja, der Herr Gursky und die Kunstgeschichte. Die Ausstellung führt in einer Art Echternacher Springprozession durch die Stilrichtungen der bildenden Kunst: hier eine Landschaft im Stil der Romantik, dort ein Rhein im abstrakten Realismus und die neueren Rennstrecken in der Wüste erinnern an Gemälde von Delaunay. Das gefällt den Kunsthistorikern in den Museen und Ausstellungshallen, denn damit kennen sie sich aus, besser als mit Fotografie, die sie profan finden, auf jeden Fall.
Überhaupt macht ja Gurskys cleverer Umgang mit den Mechanismen des Kunstbetriebes und die Vermarktung seiner Selbst ein Großteil des Erfolges aus. Ob er sich deswegen wie ein Malerfürst inszeniert? Das Selbstbildnis als Künstler vor dem eigenen Werk verleiht der ganzen Ausstellung einen gewissen eitlen Grundton, der von seinen Qualitäten als Fotokünstler ablenkt.

Die auktoriale Perspektive

Die überwiegend kleinen Formate in Haus Lange und Haus Esters werden damit gerechtfertigt, dass nur so 150 Arbeiten ausgestellt werden können und eine Werkschau möglich wurde. Wie gut, dass wir verglichen haben. Dadurch kann man feststellen, dass Gursky dominant von oben herab fotografiert(e).

In der Literatur gibt es, speziell in den Romanen des 19. Jahrhunderts, den allwissenden Erzähler, jemanden, der von oben wie Gott auf das Geschehen schaut und weiß, was bisher passierte und was in naher Zukunft passieren wird. Andreas Gursky führte, so könnte man sagen, die auktoriale Perspektive in die Fotografie ein. Vor allem, weil er nicht einfach aus der Vogelperspektive fotografiert, sondern in den Fotos von Menschenansammlungen mehrere Momente kombiniert, auch die Proportionen nach Belieben verändert. Der Betrachter wird in die Lage versetzt, das Geschehen aus einer Perspektive und in einer Bündelung zu betrachten, die ihm vollkommen fremd und ungewohnt ist. Das wirkt großartig und faszinierend – aber in dem kleinen Format auch nur auf Menschen, die bereit sind, sich das Ganze „in Richtig“, nämlich monumental, vorzustellen. Und wer, außer Hardcore-Fans und Fotografen, ist das schon?

Natürlich wird immer sofort die Globalisierung herbeizitiert, wenn ein Massenaufmarsch aus Nordkorea mit der Massenhysterie eines Madonna-Konzertes auf einen Nenner gebracht werden muss. Trotzdem wirkt die ganze Zusammenstellung in der Ausstellung so, als hinge die Motivwahl davon ab, wohin Herr Gursky letzthin eingeladen worden sei – oder vielleicht auch, wo er immer schon mal hin wollte. Jedenfalls nicht wie eine organische Entwicklung. (Was sollen die langweiligen Fotos von den künstlichen Inseln vor Dubai? Auftragsarbeit für eine Fototapete bei Scheichs?)
Nun distanziert er sich ja selbst von der Konzeptfotografie der Bechers und lässt sich im Beiblatt zur Ausstellung so zitieren, als denke er nicht genau nach über das, was er tut, „und reagiere zuweilen spontan“. Würde man ihm glauben, was er sagt, müsste man sich ernsthaft Sorgen machen, ob er sich nicht künstlerisch in die Enge manövriert hat: die Kunstgeschichte hat er durch, die Welt bald auch, und höher als gottgleich von oben geht ja nicht mehr. Kein Wunder also, dass er selbst das Gefühl hatte, ein Resümee seines bisherigen Werkes ziehen zu müssen.

Am Anfang war der Gasherd

Aus dem Jahr 1980 stammen Studentenarbeiten: das Foto eines dreiflammigen Gasherdes, der in Gurskys Wohngemeinschaft stand, und der, reichlich überdeterminiert, als Anspielung auf die RAF herhalten muss, sowie zwei wunderbare Motive aus Düsseldorf (Reihenhaus und Terrasse). Gursky begann 1978 an der Folkwangschule in Essen zu studieren, und wird gerne als Steinert-Schüler bezeichnet. Auch der Ausstellungstext suggeriert, Gursky sei 1981 direkt von Steinert in die Becher-Klasse gewechselt. Klingt natürlich gut. Da Otto Steinert jedoch schon im März 1978 verstarb, muss man Gursky wohl eher zu jenen zählen, die gerne bei Steinert studiert hätten, dessen plötzlicher Tod dies jedoch verhinderte. Gursky blieb noch bis 1981 in Essen, wechselte erst dann zu Bernd Becher an die Kunstakademie in Düsseldorf, der die Professur übrigens bereits seit 1976 innehatte. Da waren die Bechers zwar schon vom Kunstmarkt entdeckt, aber noch nicht so bekannt wie sie in den Achtzigern wurden. Von einem Einfluss Steinerts auf Gursky zu sprechen, erscheint jedenfalls ziemlich seltsam. In Essen wurde damals eine journalistischere, eine politischere Richtung gelehrt, in Düsseldorf eine sachlichere, konzeptionellere. Beides scheint Andreas Gursky nicht sonderlich geprägt zu haben.

Pförtner, Andreas Gursky
Pförtner, 1982, Copyright Andreas Gursky, VG-Bildkunst 2008

 

Was man in der Krefelder Ausstellung allerdings feststellen kann, ist, dass er sich anfangs noch für Menschen und das Motiv interessiert hat, mithin puristisch fotografisch arbeitete, und dies bald für eine bildnerische Umsetzung der Realität aufgab. Die Serie der Pförtnerlogen von 1982 ist schlicht, gut und ein echtes Zeitdokument, denn ein Pförtnerplatz ohne Sicherheitsglas ist heute kaum denkbar; beeindruckend die technische Qualität seiner Arbeiten von Anfang an. Als Fotograf der dritten Generation hat Gursky, möchte man denken, schon als Kind mit einer Fachkamera gespielt.

1984 entstand die Aufnahme „Klausenpass“, ein Alpenpanorama mit klein abgebildeten Menschen: die Initialzündung zur auktorialen Perspektive. Von da an gings bergauf. Der Mensch erscheint nur noch aus der Distanz, als immer kleiner werdendes Würmchen im globalen Gefüge von Arbeit und Freizeit. Und jetzt? Im Prinzip führt eben das Denken im Einzelbild dazu, dass die Arbeit mit jedem einzelnen Bild beendet ist, und sich nur schwer eine Problemstellung oder eine Vervollständigung ergibt, die logisch zu einem weiteren Bild führt.

Wie schwierig die Motivfindung ist, sieht man an dem Vergleich von dem zitierten „Boxenstopp“ und „Frankfurt“, beide 2007, wobei das erste genial und das zweite banal ist. Die Anzeigetafel des Flughafens aus mehreren Belichtungen zu montieren, wirkt so langweilig, weil das Foto überwiegend aus Schrift besteht, und man unter der Anzeigentafel nichts sieht, was man nicht ohnehin schon kennt. Das ist einer der Momente, wo man denkt: „Siehste, auch Fotogott ist wie jeder andere Fotograf unsicher in der Beurteilung seiner Arbeiten. Wie menschlich.“ Und dann ist da dieses Boxenstopp-Panorama! Wenn der Klausenpass das Schlüsselbild für die auktoriale Perspektive war, dann könnten die Formel 1-Fotos die Schlüsselbilder zur Verabschiedung von den malerischen Referenzen sein. Natürlich wird auch dieses Motiv von Museumsseite gleich wieder als „zeitgenössisches Ereignisbild“ etikettiert und flugs in die Kunstgeschichte einsortiert. Das verkennt aber gründlich, dass Gursky hier etwas wirklich Neues gelungen ist: die Rückkehr zu fotografischen Ausdrucksmitteln, mit denen er sichtbar macht, was normalerweise nicht sichtbar ist, und zwar mit Bodenhaftung statt von oben. Die Kombination verschiedener Zeitpunkte des Geschehens erscheint als eine filmische Referenz, jedoch ist die Rezeption eines rasanten Geschehens in der Zeitentbundenheit möglich, die nur die Fotografie erlaubt. Die Rasterung der Fenster mit den zwei Bildteilen darunter erinnert überdies nun wahrlich mehr an Comics, denn an das klassische Tafelbild. „Boxenstopp“ lässt zusätzlich noch an Konsolenspiele denken, bei denen ja auch eine große Freiheit in der Wahl der Darstellung und der Perspektiven herrscht. Und das sind nur die formal-ästhetischen Bezüge, die spontan auffallen! Seitenweise könnte man über das Abgebildete schreiben.

Unsere Welt ist ungeheuer komplex. Fotografen versuchen normalerweise, diese Vielfalt zu reduzieren, um sie darstellbar zu machen. Nicht zufällig entwickelt sich die Fotokunst immer mehr zur inszenierten Fotografie. Realität abzubilden und dabei auch noch Tempo zu bändigen, ist fotografisch eine große Herausforderung. Der muss man sich erst einmal stellen! Andreas Gursky zeigt, dass sich die Komplexität unserer Welt durchaus ins Bild setzen lässt – mit fotografischen Stilmitteln.

Weitere Infos: Museen Haus Lange / Haus Esters sowie ein Radiobericht mit O-Ton: Dradio