Die eigene analoge Fotovergangenheit

Frühjahrsinventur nenne ich es, wenn an einem Wochenende sämtliche Schränke durchforstet werden. Seit ich in einem großen Haus lebe, ist mir dies ein besonderes Anliegen. Das haben wir nämlich mit einer Vielzahl von Einbauschränken gekauft. Und auf magische Weise dehnt sich der eigene Besitzstand aus wie Hefeteig – so lange, bis auch der letzte Wandschrank gefüllt ist.
In einigen Oberschränken liegt quasi meine Vergangenheit in erschütterndem Zustand: Fotos über Fotos. Es sind stapelweise beschriftete Agfa- und Ilfordkartons mit Prints aus dem eigenen Labor. Natürlich lagern sie in den Papierkartons nicht archivfest. Das macht jedoch nichts, denn ich gucke sie ohnehin nicht an. Und niemand wird sich je dafür interessieren.

Analoge Fotos in Kartons

Kann das also alles weg?

Darin sind nicht die besten Bilder, sondern die zweite Wahl und Testprints. Stichproben würden mich in dem Urteil nur bestärken, dass entweder das Motiv banal ist oder der Print misslungen. Womöglich trifft beides zu. Aber kann man seine alten, mühevoll geprinteten, aufwendig luftgetrockneten und geglätteten Motive einfach in die blaue Tonne entsorgen? Ich meine: selbst!?
Das ist aber noch nicht alles. Es gibt eine Ansammlung etwa zehn Jahre alter Labortüten mit Farbprints. Will man in die Tüten reinsehen? Nein, besser nicht. Es würde einen doch nur mit dem konfrontieren, was man im Urlaub so zusammenknipst. Hinzu kommen die vielen Dias! Leider funktioniert mein Leica Projektor nicht mehr. Das wäre kein Hinderungsgrund, denn natürlich ist es kein Problem, seine analogen Fotos digitalisieren zu lassen.

Aber: Macht das Digitalisieren der analogen Fotos Sinn?

Als Beschäftigungstherapie ist das Scannen okay. Und bestimmt ist es lehrreich, die alten Schätzchen anzugucken und sich zu überlegen, was davon in die Gegenwart übertragen werden soll – und was nicht. Aber nicht jeder möchte seine Zeit damit zubringen, die eigene visuelle Vergangenheit aufzuarbeiten. Ich ganz sicher nicht. Heute ist nicht nur die digitale Technik ausgereift, man hat durch Photoshop und Lightroom ganz andere Ansprüche an die Bildbearbeitung als früher.

Also: Analoge Fotos ignorieren und neu produzieren?

Vielleicht gerade weil ich mich schon mein Leben lang mit der Fotografie befasse, bin ich streng oder zumindest realistisch; aber zugleich so sentimental wie jeder andere.
Derzeit wird ja so einiges an Fotografie wieder ausgegraben und groß ausgestellt, was ich schon zur Zeit seiner Entstehung bedenklich fand oder ganz einfach grässlich. So mancher mag da denken: Na, so was grobkörnig Schwarzweißes aus den wilden Siebzigern habe ich auch im Keller, wenn nicht besser. Das ist dummerweise meist ein Trugschluss.

Es gibt das menschliche Phänomen, den eigenen Sachen mehr Wert zuzusprechen als denen von anderen. Das fängt an beim Verkauf einer DVD mit einem Spielfilm auf Ebay („Nur ein Euro?“) bis hin zum Verkauf von Größerem wie dem Auto oder gar dem Haus. Dabei klaffen die eigene Wertvorstellung und die des Käufers mehrstellig auseinander.
Die emotionale Bindung erzeugt auch hinsichtlich der eigenen Fotos ein inneres Bild, das mit dem realen Print oft nur wenig gemein hat.

Diese emotionale „Linsentrübung“ ist es übrigens auch, die so manchen besser davon abhalten sollte, seine Fotos der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, nachträglich auf einer eigenen Webseite zu publizieren. Ist es wirklich klug, seine kameratechnischen „Jugendsünden“ öffentlich zu machen? Oder, noch kostenintensiver, sie in einer nennenswerten Auflage in einem Buch drucken zu lassen? „Not good!“ wie Happy Quinn sagen würde.

Meine Entscheidung heißt: Aus sentimentalen Gründen (und so lange Platz ist), hebe ich meine fotografische Vergangenheit unarchiviert auf. Vor Jahren fasste ich einmal den Entschluss, aus den Farbfotos nachträglich Themen zusammenzustellen. Das gab ich schnell auf. Warum?

Die zukünftigen Fotos werden immer besser sein als die bisherigen

1. Aus mehr oder minder sinnfrei geknipsten Motiven kann man nachträglich nichts Sinnhaftes gestalten.
2. Viel Arbeit, wenig Freude und die Frage: Wer soll sich das ansehen wollen?
3. Das Leben ist kurz. Ich will Neues sehen und lernen.
4. Aktuell ist man von seinen Fotos stets begeistert. Aber die besseren Fotos werden immer die sein, die man noch machen wird!
5. Meine einzig wertvollen und mir wichtigen Fotoarbeiten sind, jene, die ich im Rahmen eines mehrjährigen Fotoprojektes aufgenommen habe. (Und ein paar kleinere thematische Projekte.)

Was meinen Sie: Soll man seine analogen Knipsbilder aufheben? Was machen Sie mit Ihren analogen Schätzen?

6 Antworten

  1. Hallo, danke für den interessanten Beitrag. Ich musste dabei freilich auch an mich selbst denken und ich bin da viel radikaler: Bloß weg mit dem alten Zeug. Dabei muss ich sagen, dass ich ohnehin sehr minimalistisch lebe, was Gebrauchsgegenstände anbelangt. Ich hatte vor einiger Zeit einmal sehr viele Handabzüge aus meinem Fotografiestudium auf Ebay verkauft. Das war dann ein Fotokarton voll mit durchaus hochwertig angefertigten Silbergelatine-Barytprints zu denen man in dieser Qualität nur nach einigen Jahren Praxis gelangt. Das hat mir 30 € gebracht, was mich aber aus zweierlei Gesichtspunkten nicht griesgrämig werden ließ: Zum einen interessiert sich kaum jemand dafür. Zum anderen waren mir diese alten Prints durchaus dienlich: Sie sind ja nicht die Früchte meiner Arbeit sondern ein „Nebenprodukt“ (oft Arbeiten für Uni-Kurse) für das Niveau, welches ich durch sie erlangte. Ich benötige sie nicht mehr. Heute benutze ich im Durchschnitt ca. einen Rollfilm (8 Aufnahmen) pro Monat und arbeite konzeptionell. Bis dahin war es ein weiter Weg.

    1. Wer weiß, ob Ihre auf Ebay verkauften Barytprints nicht irgendwann in einer Sammlung auftauchen? Ich verstehe „Bloß weg mit dem alten Zeug“ sehr gut! Bei ganz vielen Dingen gelingt es mir auch und ich bewundere Ihre Konsequenz in Sachen Prints.

  2. Guten Tag Frau Mettner,

    Ihr Post berührt die alte philosophische Frage „ist das Kunst oder kann das weg?“. Die Antwort auf ersteren Frageteil lautet fast immer „Nein“, auf den zweiten „Ja“.

    Allerdings ist auch Murphys Regelsatz zu beachten: Was man 10 Jahre nicht gebraucht hat und daher wegwirft, wird man morgen verzweifelt suchen.

    So ist das Leben.

    1. Den Murphy kannte ich bisher nicht. Aber es ist ja sooo wahr! Danke für Ihren Kommentar.

  3. Es kommt ja noch schlimmer. Mir graut wenn ich in die Kiste mit all dem einst hoch geschätzten (und teuer erworbenen) Foto-Equipment blicke. Selbst für eine alte „L..a“ interessiert sich heute kaum noch jemand.

    1. Da kann ich zum Trost nur darauf hinweisen, dass sich eine Leica immerhin dekorativ im Regal ausnimmt. Zudem ist das analoge Fotografieren keineswegs ausgestorben. Wohin aber mit den ausgedienten Digitalkameras?