Fotoarbeiten ausgewählt für „Das imaginäre Museum“

Für Frankfurt am Main ist die noch recht neue Dependance des Museum für Moderne Kunst im Taunusturm eine echte Bereicherung. Der Taunusturm befindet sich zentral gelegen im Bankenviertel an der neu gestalteten grünen Taunusanlage. Auf rund 2.000 Quadratmetern Grundfläche erstrecken sich die großzügige Ausstellungsfläche im zweiten Obergeschoss sowie ein Museumsshop und ein Café im Erdgeschoss. Seit 23. März wird dort bis zum 4. September 2016 die Ausstellung „Das imaginäre Museum – Werke aus dem Centre Pompidou, der Tate und dem MMK Museum für Moderne Kunst“ gezeigt.

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Robert Flilliou: The Frozen Exhibition, 1972. © Marianne Filliou © Centre Pompidou, Foto: Axel Schneider. Der Künstler hat Fotos seiner Ausstellung von 1962 eingefroren und zehn Jahre später wieder aufgetaut. Der Bowler aus Pappe ist wirklich sehr gelungen!

Den konzeptuellen Ausgangspunkt für diese einzigartige internationale Museumskooperation bildet eine Zukunftsvision für das Jahr 2052. Die Museen sind von der Auslöschung bedroht und die Kunst verschwindet aus der Gesellschaft. Über 80 Hauptwerke aus den drei europäischen Sammlungen werden unter diesem Science-Fiction-Szenario zu einem transnationalen Museum auf Zeit vereint. Gezeigt werden Werke von bedeutenden künstlerischen Positionen aus den 1920er-Jahren bis in die Gegenwart, wie Louise Bourgeois, Marcel Duchamp, Isa Genzken, On Kawara, Claes Oldenburg, Sigmar Polke, Bridget Riley, Andy Warhol und vielen mehr.

Die Ausstellung ist inspiriert von Ray Bradburys Science-Fiction-Roman Fahrenheit 451 (1953) und dessen legendärer Verfilmung von François Truffaut (1966). Bradbury entwirft das Bild einer Zukunft, in der literarische Werke aus der Gesellschaft verbannt sind. Die einzige Möglichkeit, sie für nachfolgende Generationen zu bewahren, liegt darin, die Werke zu erinnern. Die Ausstellung „Das imaginäre Museum“ führt in eine ähnlich düstere Zukunft, in der die ausgestellten Kunstwerke aus den drei europäischen Sammlungen kurz vor ihrer Vernichtung stehen. So wie Bradburys „Büchermenschen“ die literarischen Werke nur durch Auswendiglernen vor dem Verschwinden bewahren können, lädt die Ausstellung die Besucher dazu ein, sich die präsentierten Kunstwerke einzuprägen. So werden die Betrachter zu einem aktiven Teil der Präsentation. Nach ihrer Laufzeit eröffnet die Ausstellung noch ein letztes Mal für ein großes Abschlusswochenende. Die Kunstwerke sind nun fast alle entfernt und durch Personen ersetzt worden, die durch ihre persönlichen Erinnerungen und Interpretationen die Ausstellungsstücke wiedergeben und sie auf diese Weise zurück ins Bewusstsein rufen. Die Besucher sind nun Botschafter geworden, und es entsteht ein lebendiges Museum.

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Martin Parr: The Last Resort 23, 25, 40, 1983-86/2002. Als ich an die mir etwas rotstichig erscheinenden Bilder näher heran treten wollten, wäre ich fast über die niedrige Schnur gestürzt, im Bild unten zu sehen.

Soweit das Konzept der Kuratoren. Neben der bildenden Kunst sind fotografische Werke (und Video) „auf Augenhöhe“ mit der Kunst, wie es immer so lustig heißt, präsentiert. Eine für die Ausstellung leitmotivische Fotografie hängt im Eingangsbereich. Paul Almásy nahm 1942 einen Ausstellungsraum des Louvre auf, dessen Sammlung während des Zweiten Weltkrieges evakuiert wurde. Die leeren Rahmen sollen die Wiedereinrichtung des Museums erleichtern.
Von den üblichen Verdächtigen sind in der Ausstellung Cindy Sherman, Hiroshi Sugimoto und Jeff Wall vertreten. Eher erstaunlich: Drei Arbeiten von Martin Parr aus seinem Frühwerk (1983-86) „The Last Resort“, mit dem er weltbekannt wurde. Dabei handelt es sich um große Abzüge von 2002 aus der Sammlung der Tate.
Etwas eigenartig (aber ganz spannend) ist, dass sich bei der sehr übersichtlichen Auswahl an Fotoarbeiten gleich zwei mit dem Libanon befassen.

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Akram Zaatari wählte Porträts aus dem Fundus des Berufsfotografen Hashem el Madani, die einen Blick erlauben auf die libanesische Gesellschaft der 1950er-Jahre.
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Raad Walid: Secrets in the Open Sea, 1994–2004. Dazu heißt es: „Raad verlieh seinen Arbeiten im Kontext des libanesischen Bürgerkrieges den Anschein wissenschaftlicher Objektivität. Unter den monochromen Farbflächen waren laut Raad verblichene Fotografien verschollener Personen verborgen.“ Foto: Axel Schneider
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Detail, welches das fiktive oder echte Negativ der verschollenen Personen zeigt. Man muss in der Ausstellung schon wissen, dass sie da sind, um unter den Farbflächen die kleinen Bilder zu beachten.
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Das große Dia von Jeff Wall „Odradek, Táboritská 8, Prag, 18. Juli 1994“, spiegelt sich in den monochromen Bildern von Walid Raad.

Fotografie in einem futuristisch gedachten, kuratierten Kontext zu sehen, ist auf jeden Fall spannend. Und ein Tipp auch für einen Stoppover: Das MMK 2 ist gut zu Fuß vom Bahnhof aus zu erreichen und liegt in der Nähe zum Parkhaus Theaterplatz.
MMK2, Tanustor 1, 60310 Frankfurt am Main.
Öffnungszeiten: Di, Do-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr, Mo geschlossen.

Artikelbild: Allan McCollum, Plaster Surrogates, 1985 – Centre Pompidou, © Allan McCollum Photo, © Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMN-Grand Palais, Foto: Axel Schneider