Kontrolle beim Fotografieren: Die Pose

Wenn die Stimmung im Freundes- oder Familienkreis ihren Höhepunkt erreicht hat, dient ein Schnappschuss, verstärkt durch ein Blitzlicht, dazu, ihn zu unterstreichen. Wo es lustig war, soll das Foto die Ausgelassenheit widerspiegeln. Eine harmlose Sache war das, bis es üblich wurde, Bilder zu posten und damit von der Privatheit in die Öffentlichkeit zu entlassen. Was für den einen ein kurzlebiger Spaß, kann für den Fotografierten die Bloßstellung in einer von ihm als sehr peinlich empfundenen Situation sein. Früher gehörte das spätere Betrachten schrecklicher Schnappschüsse zum Vergnügen oder der Peinlichkeit eines Festes dazu. Heute bergen sie eine Zeitbombe, die hochgehen kann, wenn beispielsweise ein Personalchef, der gerade die Bewerbungsunterlagen des Abgebildeten vorliegen hat, beim Googeln darauf stößt.

Sängerin vor dem Shinjuku-Bahnhof in Tokio reißt die Arme fürs Foto hoch und kombiniert sich prima zum Absperräffchen im Vordergrund.

Kontrolle über das Bild ist ein für das Fotografieren jetzt und in Zukunft extrem wichtiger Vorgang. Im Rahmen des privaten Fotografierens hat das Gegenüber eine gebräuchliche Möglichkeit, um die Situation und das Ergebnis zu kontrollieren, nämlich das Einnehmen einer Pose. Sie soll unter anderem die Unsicherheit verbergen, die empfindet, wer es nicht gewohnt ist, vor der Kamera zu stehen. Es geht um eine angemessene Selbstrepräsentation. In einer sehr formal strukturierten Gesellschaft wie der japanischen, kann man das gut beobachten. Bei wichtigen Anlässen werden alle in Position gebracht und der Ausdruck genau bemessen. Auf informellen privaten Fotos muss anscheinend obligatorisch das Victory-Zeichen in die Kamera gehalten werden.

Die private Pose, gerne in Kombination mit dem Fotografiergesicht, hat jedoch hierzulande einen schlechten Ruf – selbst bei jenen Fotografen, die nichts dabei finden, auf TFP-Basis gebuchte Models in den ödesten Standardverrenkungen abzulichten. Als nach wie vor probates Mittel gegen die Pose gilt die Überlistung. Der überraschende Schnappschuss verweigert dem Abgebildeten die Chance, zu beeinflussen, was von ihm gezeigt wird. Er könnte eine für ihn günstige Korrektur seiner selbst vornehmen (zum Beispiel den Bauch einziehen oder den Mund zumachen), ohne gleich zur Salzsäule zu erstarren. Auch das kleine bisschen Autonomie und Entscheidungsfreiheit, einfach aus dem Blickfeld des Fotografierenden zu verschwinden, wird ihm genommen. Mit welchem Recht? Zu welchem Zweck?

Das Aufgeben von Kontrolle auf beiden Seiten – der des Fotografierenden und der Abgebildeten – wird sogar als Produktvorteil gepriesen, nämlich bei der 2011 neu erschienenen Kamera Nikon 1, die schon ein Foto macht, bevor man willentlich fotografiert. In der Ankündigung des Herstellers heißt es, die Kamera „ist mit intelligenten neuen Features ausgestattet, wie etwa einer Funktion, die bereits Bilder macht, bevor Sie den Auslöser durchgedrückt haben. Die Technologie zur Erfassung von Aufnahmen vor und nach dem Auslösen ermöglicht bahnbrechende Aufnahmemodi, mit denen Sie nie mehr den richtigen Moment für Ihre Aufnahme verpassen – selbst bei flüchtigen Augenblicken. So kommen Sie zu lebendigen Bildern, wie Sie sie nie für möglich gehalten hätten.“

In Anbetracht der Macht digitaler sozialer Netzwerke, der Haltbarkeit von Daten im Netz und der Sorglosigkeit, mit der Privates der Öffentlichkeit preisgegeben wird, sollten bei privaten Anlässen ganz neue Gepflogenheiten eingeführt werden. Wie in Spielfilmen am Eingang von einigen Clubs die Waffen abgegeben werden, müssen dann alle ihre Kameras an der Garderobe lassen. (Vielleicht wäre das eine gute Anregung für Ihre geplanten Urlaubspartys!?)