Rineke Dijkstra: The Krazy House

Im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main eröffnet heute Abend eine ebenso ungewöhnliche wie sehenswerte Ausstellung. Von der niederländischen Fotokünstlerin Rineke Dijkstra kennen wir ihre intensiven, den Betrachter involvierenden Porträtstudien. In Frankfurt jedoch liegt der Schwerpunkt eindeutig auf den Videoarbeiten, die hier erstmals vollständig zu sehen sind. Ergänzend dazu hat Rineke Dijkstra Werke aus der ständigen Sammlung des Museums ausgewählt und zu ihren eigenen Arbeiten in Beziehung gesetzt.

Installationsansicht „Rineke Dijkstra. The Krazy House“, 2013 Rineke Dijkstra, Amy, The Krazyhouse, Liverpool, 2008 © Rineke Dijkstra, Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin und Tobias Rehberger, Most Beautiful, 1999 © Tobias Rehberger, Foto: Axel Schneider

Photography the next level

Rineke Dijkstra, The Krazyhouse, Liverpool, 2008 © Rineke Dijkstra, Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin, Foto: Axel Schneider

Mit den Videoarbeiten, vor allem mit denen, die mit einer starren Kameraeinstellung arbeiten, erweitert Rineke Dijkstra ihre künstlerischen Ausdrucksmittel und Möglichkeiten. Im Grunde sind es bewegte Fotografien. Vor allem bei „The Krazyhouse“, wo man zuerst die Porträtfotos sieht und dann die bewegten Bilder der tanzenden Jugendlichen, entsteht eine beziehungsreiche Spannung, wenn nicht gar mediale Reflexion: Was denken wir über Nicki (oben in der Mitte) – einmal abgesehen vom Plastikappeal ihrer Extensions? Und wie wirkt sie, wenn man sie tanzen sieht? Was verschweigt die Fotografie (zum Beispiel die Kürze des Kleides) und was enthüllt das bewegte Bild über die Person?

Rineke Dijkstra, The Krazyhouse (Megan, Simon, Nicky, Philip, Dee), Liverpool, UK, 2009 Videostill © Rineke Dijkstra, Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin

Die raumgreifende 4-Kanal-Videoprojektion „The Krazyhouse“ wurde 2009 in dem gleichnamigen Liverpooler Club aufgezeichnet: ein ebenso bewegtes wie bewegendes Portrait junger Menschen und ihrer tänzerischen Ausdrucksweisen. Die fünf Protagonisten der Videoinstallation, die Dijkstra in der Liverpooler Clubszene entdeckte, tanzen alleine vor strahlend weißem Hintergrund zu ihrer Lieblingsmusik. Die fünf Sequenzen sind hintereinander und rotierend auf die vier Wände des Ausstellungsraumes projiziert. Durch ihre Tanz- und Musikstile, ihre Expressivität und ihr Befinden vor der Kamera heben sich die Jugendlichen voneinander ab.

Eine vergleichbare, ebenso beeindruckende Videoarbeit der Künstlerin, „The Buzz Club/Mystery World“, entstand 1996/97 in Großbritannien und in den Niederlanden. Sie zeigen junge Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, beeinflusst von der Pop- und Jugendkultur ihrer Zeit. Für „The Buzz Club“ nahm Dijkstra junge Clubgänger im gleichnamigen Liverpooler Club sowie in der Diskothek „Mystery World“ im niederländischen Zaandam auf. Die zu einer Doppelprojektion montierten Aufnahmen entstanden vor provisorischer weißer Studiokulisse während des laufenden Clubbetriebes.

Rineke Dijkstra, The Buzzclub, Liverpool, UK/Mysteryworld, Zaandam, NL 1996 – 1997 Videostill © Rineke Dijkstra, Foto: Fotofeinkost

Nach zehn Jahren ausschließlich fotografischen Schaffens kehrt Dijkstra erst 2007 wieder zur Arbeit mit dem Bewegtbild zurück. Daraus gingen eine Reihe neuer Videoinstallationen hervor, die sich mit dem Akt des Betrachtens und dem Prozess der Identitätsfindung in der heutigen Gesellschaft auseinandersetzen.

Reineke Dijkstra und MMK-Kurator Peter Gorschlüter vor der Videoinstallation „The Power House“ von 2007/2008, Foto: Fotofeinkost

You could be next

Im Eingangsbereich der Ausstellung, die das ganze Haus bespielt, hängt ein Picasso, „Die weinende Frau“ von 1937, aus der Tate in Liverpool. Weiter oben im MMK befindet sich ein Videoraum, der darauf Bezug nimmt, ohne dass man das Bild hier sehen würde. Was man sieht und vor allem hört, ist das Kratzen eines Stiftes auf dem Papier und ein Mädchen in Schuluniform, das hingebungsvoll den Picasso nachzeichnet – so lange, bis seine Konzentration dadurch gestört wird, dass ein Mädchen außerhalb des Kamerabildes nach einem Stift fragt. Das sind die Momente, die Dijkstra interessieren: im Flow zu sein und rauszufallen, in eine Rolle zu schlüpfen und sie zu verlassen, oder, wie In „The Power House“ eine Choreografie zu tanzen und aus dem Rhythmus zu kommen. Zurück zum Picasso-Raum: Außer der andächtig zeichnenden Ruth (im Trailer zu sehen), gibt es die alternierende Projektion einer Dreikanal-Videoarbeit von einer Schülergruppe, die das Bild betrachtet und von eher allgemeinen Feststellungen zu immer persönlicheren Aussagen kommt, wie der, dass ein Familienmitglied gestorben sein könnte – oder sie selbst sterben muss und das Bild mahne: „You could be next!“ Eine visuell großartige Arbeit mit sich bewegender Kamera, die sehr davon profitiert, dass die Kinder so ausdrucksstarke Gesichter haben und uniform gekleidet sind. Wirklich klug und zugleich humorvoll. Eine gelungene Transformation des wahren Lebens mit und in die Kunst.

Rineke Dijkstra, I See a Woman Crying (Weeping Woman), 2009 Videostills: Rineke Dijkstra © Rineke Dijkstra, Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin

Neben den Fotografien, die in Zusammenhang mit den Videoinstallationen entstanden sind, zeigt das MMK weitere Foto-Serien der Künstlerin, wie beispielsweise „Almerisa“, bestehend aus 11 Einzelporträts. Dijkstra begann im Jahr 1994 das damals fünfjährige bosnische Flüchtlingskind in der niederländischen Stadt Leiden zu porträtieren. Die in unregelmäßigen Abständen entstandenen Fotografien folgen über 15 Jahre Almerisas persönlicher Entwicklung von einem schüchternen Mädchen bis zu einer jungen selbstbewussten Mutter. Die äußerlichen Veränderungen in Kleidung und Einrichtung dokumentieren gleichzeitig das Hineinwachsen Almerisas in eine moderne, niederländische Gesellschaft.

Fazit: Unbedingt hingehen. Die Projektionen kann man nur jetzt im Museum sehen. Daher sollte man großzügig Zeit einplanen, um einige Loops vollständig betrachten zu können. Nicht übersehen: Das ganz entzückende, in einem winzigen Raum versteckte Video des chinesischen Kinderchors, der zwischen Haltung und Entspannung bruchlos wechselt (Dress Rehearsal, 2006).

Zur Ausstellung wird eine kostenlose App veröffentlicht. Sie vermittelt über einen Rundgang Informationen und Hintergründe zu sämtlichen Werken. Mit der neuen App können sich Interessierte von Zuhause über Ausstellungen und Veranstaltungen informieren; für die Museumsbesucher stehen kostenlose Leihgeräte vor Ort zur Verfügung, mit denen Werke von Rineke Dijkstra und die aus der MMK Sammlung erkundet werden können.

Es gibt aber auch noch Print! Bei Idea Books erscheint eine Publikation mit einem ausführlichen Gespräch zwischen Rineke Dijkstra, Peter Gorschlüter und Hans den Hartog Jager sowie zahlreichen Abbildungen der Werke der Künstlerin und der Sammlung des MMK. Der Katalog ist im Handel für 23,50 Euro und an der Museumskasse des MMK für 19,50 Euro erhältlich.

Rineke Dijkstra.The Krazy House 23.2.–26.5.2013 im MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main.

Eine Antwort

  1. Bewegte Fotografien – sieht gut aus, erinnert mich an die „Cinemagraphs“, die in den letzten Jahren aufgekommen sind. Schade, dass die Ausstellung so weit weg ist, sonst würde ich sicherlich mal vorbei schauen! Thumbs up!