Spezialisierungspotenzial und Profilierung

Das nachfolgende Interview mit mir erschien im Magazin Photonews 10/16.

photonews-titel-10-2016-300x402Anna Gripp/PHOTONEWS: Kenntnisse über Fotografie haben viele. Aber wie wird man zur Expertin für Beratungen in diesem Metier?

Martina Mettner: Ich pflege ja mein Leben lang eine Liebesbeziehung zur Fotografie und zu den Fotografen. Aber was macht mich zu einer Expertin? Ich würde sagen: Das Schreiben. Es zwingt zum Nachdenken und zum klaren Formulieren. Mich interessiert, wie die fotografische Praxis „funktioniert“, vor allem die künstlerische, dokumentarische, journalistische. Biografien, Bilder oder Absichten zu analysieren und präzise benennen zu können, was sie ausmacht, trainiere ich beim Schreiben von Artikeln und Büchern. Das kommt meinem Gegenüber in der Beratung zugute. Dank meiner Erfahrung komme ich ziemlich schnell auf den Punkt und kann, beispielsweise was freie Projekte oder auch die Eigenwerbung angeht, kreative und individuell passende Vorschläge machen. Ich sehe mich dabei auch eher als kompetenten Gesprächspartner oder Mentor, denn als Coach.

Coaching und Workshopangebote für Fotografen boomen. Wir haben mitunter Zweifel, ob dies nicht vor allem eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Workshopleiter ist. Wie können Interessierte lohnende und seriöse Angebote erkennen?

Was sich bei den Seminaren lohnt und was man selbst als seriös empfindet, hängt stark vom eigenen Wissensstand ab. Beispielsweise bewundern Seiteneinsteiger Coaches, die selbst als Fotografen Seiteneinsteiger sind, eben weil sie es in ihren Augen „geschafft“ haben. Aber kann ein kommerziell tätiger Fotograf oder ein Marketingspezialist das individuelle Potenzial seines Gegenübers erkennen und fördern? Will man nicht lieber von jemandem beraten werden, der alle fotografischen Bereiche und auch die internationalen Entwicklungen und Möglichkeiten (Beispiel: das große Potenzial von Instagram) im Blick hat?
Außer dem Erfahrungs- und Wissensvorsprung des Anbieters wäre mir bei der Karriereberatung wichtig, kein standardisiertes Verfahren zu buchen, keinen Vertrag für mehrere Sitzungen zu unterschreiben oder damit rechnen zu müssen, dass mir das Erstellen einer neuen Website verkauft wird. Ich würde immer gucken, was derjenige inhaltlich von sich gibt und ob mich die Webpräsenz anspricht. Letztlich muss man vielleicht einfach mal anrufen und miteinander sprechen, bevor man sich entscheidet.

Es ist allgemein bekannt: der Markt für Fotografen wird immer enger. Steigt damit die Notwendigkeit des Selbstmarketings?

Ja, in ganz rasantem Tempo. Beispielsweise werden Websites in diesem Jahr erstmals überwiegend auf Mobilgeräten angesehen und viel weniger auf großen Monitoren. Das gilt es sowohl bei der Gestaltung der Site als auch bei der Bildauswahl für das Portfolio zu berücksichtigen. Welches Motiv wirkt wie auf dem Smartphone? Und: Hat man sinnvollen Text in den Alt-Tag geschrieben? Schließlich werden die Bilder mobil nicht zwingend automatisch geladen und Bildunterschriften hat kaum eine Fotografenwebsite. Das sind alles wichtige Elemente der Selbstdarstellung. Beim Selbstmarketing geht es aus meiner Sicht nämlich nicht um das Einhalten irgendwelcher tumber Marketingregeln. Wohl aber um die Notwendigkeit, es selbst zu beeinflussen, welchen Eindruck der (potenzielle) Auftraggeber von einem bekommt. Und vorweg sollte man sich natürlich darum kümmern, überhaupt online für das gefunden zu werden, wofür man am liebsten gebucht werden möchte. Viele wissen das nicht und bieten alles an. Das ist fatal, denn es führt unmittelbar in die sich abwärts bewegende Preisspirale. Darum geht es in der Beratung: Ein Profil zu formulieren und sich klar zu werden, was genau man erreichen beziehungsweise welche Kunden (oder ggf. Kuratoren) man ansprechen möchte. So bald man das umsetzt, klappt es auch mit den ordentlich honorierten Aufträgen.

Für diese Profilierung im Internet muss ein Fotograf dann aber auch entsprechende Bilder bieten können…

Die kann man im Zweifel im eigenen Auftrag realisieren, um das Profil zu illustrieren. Das sollte für einen Fotografen kein Problem sein, oder? Von diesen „Belegbildern“ zu unterscheiden sind aber freie Projekte, die möglichst ein Thema behandeln sollten, das on- wie offline auf Interesse bei Publishern stößt. Nur durch ein freies Projekt kann man sich zudem weiter entwickeln und zugleich genau das fotografieren, wofür man gebucht oder ausgestellt werden will. Künstlerische Fotografen arbeiten ohnehin so, kommerzielle Fotografen tun sich gelegentlich recht schwer damit.

Sie erwähnten Instagram. Ist das wirklich so wichtig für Fotografen? Wie viele Online-Kommunikations-Kanäle sollen wir denn alle noch bespielen und nutzen?

Ich sehe das eher als Möglichkeit, denn als Zwang. Ich beobachte, wie sich in der Onlineszene eine enorme Foto-Text-Kompetenz entwickelt – ganz abseits von der klassischen Fotoszene. Die beharrt ja weitgehend auf einer Selbstpräsentation wie zu analogen Zeiten, wodurch sie, wie ich befürchte, vermehrt ins Hintertreffen gerät.
Wer aufgeschlossen ist, sollte gucken, wo sich diejenigen tummeln, von denen man gerne wahrgenommen werden möchte. Das kann Facebook sein, wenn man Kunden aus dem Mittelstand hat. Bei Twitter sind Magazine und Journalisten zu finden. Instagram ist großartig für Bereiche wie Mode, Reise/Tourismus, Sport. Text ist hier keine Hürde, da nur Suchbegriffe aufgelistet werden. YouTube nicht zu vergessen für die gefilmten Making-ofs.

Angenommen ich bin als Fotografin an einem Punkt, wo ich beruflich und inhaltlich nicht so recht weiterkomme. Wie kann ich mir eine Beratung bei Ihnen vorstellen?

Klärend und erleichternd. Die Beratung fällt individuell unterschiedlich aus, beginnt aber immer damit, dass ich erst einmal erzählen lasse, was meinem Gegenüber auf dem Herzen liegt, welche Vorgeschichte es gibt und welche Zukunftspläne, auch in familiärer Hinsicht. Ich frage nach den Wünschen, Träumen, Zielen und ich mache Vorschläge, welche davon man wie umsetzen könnte. Im Gespräch kann man davon einiges ausschließen, anderes konkretisiert sich. Das ergibt einen Plan A und je nach Situation auch einen Plan B. Ich entwerfe während der Beratung auch freie Projekte, formuliere das Profil, helfe bei der Bildauswahl fürs Portfolio, sage, was bei der Website geändert werden sollte – je nachdem, was akut ist. Beim Umsetzen der Vorschläge biete ich mein Feedback an.

„Fotos ohne interessantes Thema dringen kaum noch durch das Bilderflutgrundrauschen.“

Kommt es auch vor, dass Sie davon abraten, die Fotografie zum Gelderwerb zu betreiben?

Klar, allen finanziell abgesicherten Freizeitfotografen. Bei uns wird die Fotografie traditionell nicht als echtes Hobby betrachtet. Mit einem Hobby verbindet sich nie die Erwartung, es müsse sich finanziell rentieren oder professionell ausgeübt werden. Bei der Fotografie aber möchte jeder Hobbyfotograf seine Fotos nachträglich zu Geld machen oder – noch schlimmer – nimmt Fotografen die Arbeit weg, indem er kostenlos tätig wird. Schon seit Jahren animiere ich ambitionierte Hobbyfotografen, fotografisch das nächste Level zu erreichen, indem sie an thematischen Serien arbeiten. Das ist anspruchsvoll, macht aber glücklich. Zu fotografieren, ohne ans Geldverdienen denken zu müssen, ist doch das Beste überhaupt. [Siehe das kostenlose E-book Wer fotografiert hat mehr vom Leben.]

Die „finanziell abgesicherten Freizeitfotografen“ erreichen nach unserer Erfahrung oft ein hohes Niveau, aber nicht unbedingt die Aufmerksamkeit, die sie sich wünschen.

Man muss die Erwartungen klären, die sind oftmals sehr unrealistisch. Zum einen, weil das Bildmaterial aus ganz unterschiedlichen Gründen für die Öffentlichkeit und erst recht für Experten nicht so interessant ist, wie der Fotograf hofft. Zum anderen muss jeder in der Bildbranche um Aufmerksamkeit ringen. Fotos ohne interessantes Thema dringen kaum noch durch das Bilderflutgrundrauschen.

Zurück zu den Berufsfotografen. Müsste man angesichts der wirtschaftlichen Probleme, die viele haben, nicht vermehrt dazu raten, einen anderen Berufsweg einzuschlagen?

Kommt darauf an. Wer jetzt anfängt, sollte wohl besser in Richtung Virtual Reality gucken. Auch ein Digital Operator wird im Schnitt besser entlohnt als viele Fotografen. Wer schon im Beruf ist und unzufrieden, für den wäre eine Bestandsaufnahme äußerst sinnvoll. Verfügt man über ungenutztes Spezialisierungspotenzial? Oder würde man sich außerfotografisch als Angestellter wohler fühlen, denn als selbstständiger Fotograf?
Man muss heute – altersunabhängig – verstehen, wie sich alltägliches Verhalten durch das Internet permanent verändert. Darauf zu reagieren, macht Mühe und kostet Zeit. Jede selbstständige Tätigkeit ist anstrengender geworden. Aber: Die Industrie floriert. Wer seine Nische findet und damit im Internet gefunden wird, kann die Fotografie weiterhin als Traumberuf ansehen.

Weiterführend: Das Buch „Erfolg als Fotograf„; die Website Erfolg als Fotograf.