Von der Brücke fotografiert oder: Wie ähnlich dürfen Fotos sein?

Gestern ging ich durch Tokios Elektronikviertel Akihabara. Die neuen Smartphones sehen alle fast aus wie das iPhone von Apple. Innen arbeitet dann vielleicht Android als Betriebssystem, aber äußerlich ist die Ähnlichkeit verblüffend. Es sind so genannte Me-too-Produkte. Was erfolgreich ist, wird so ähnlich von anderen auf den Markt gebracht. Das funktioniert bei allen kommerziellen Produkten, aber ist das auch in der Fotografie legitim?
Ist es okay, wenn ein Fotograf so etwas Ähnliches ausstellt, wie ein anderer, der damit schon länger erfolgreich ist? Passiert ist es in Wiesbaden, zwar die hessische Hauptstadt, aber nicht gerade eine Metropole, eher ein Ort, in dem sich die Fotografen untereinander kennen. Deshalb sorgt es dort durchaus für Zündstoff, wenn die klassischen Regularien versagen – ein grundsätzliches Problem, das jeden betrifft. Auf der einen Seite, im Kulturbetrieb, fehlen die Beurteilungskriterien für gelungene Fotografien, so dass alles ausgestellt und bevorwortet wird, was irgendwie ganz nett aussieht und nicht weiter stört. Auf der anderen Seite, jener der Fotografen, mangelt es bisweilen an Professionalität. Die wird ja landläufig gerne mit der Virtuosität im Bedienen von Geräten gleichgesetzt, meint aber viel mehr, nämlich einen Berufsethos, wie er für alle freien Berufe notwendig und wichtig ist. Das Berufsethos des Arztes besagt, dass er sich für die Gesundheit des Menschen einsetzt. Macht er aus Gewinnstreben Medikamententests an Patienten, verletzt er dieses Ethos. Profi-Fotografen oder Künstler heben sich ja nicht allein deswegen von Möchtegernfotografen ab, weil sie mehr können oder eine bessere Ausrüstung haben, sondern weil sie sich professionell verhalten, das heißt, eine ordentliche Bezahlung verlangen, dafür aber auch im Sinne des Kunden oder der Kunst das Bestmögliche abliefern. Und natürlich gehört dazu auch, dass man eine individuelle Leistung und Lösung präsentiert und sich nicht, wie im Supermarkt, einfach überall bedient. Da das aber in der Werbefotografie durchaus gängig ist, und ebenso bei den Amateurfotografen (denen es natürlich freisteht!), ist es schwer, hier die (moralischen) Grenzen zu ziehen. Aus meiner Sicht sollte sich jeder Fotograf bewußt sein, dass er sich selbst am meisten schaden kann, wenn er sich allzu sorglos „inspirieren“ lässt. Er begibt sich dabei in eine unmittelbare Vergleichbarkeit, die selten zu den eigenen Gunsten ausgehen wird. Auf jeden Fall sollte man tunlichst den Kunstanspruch stecken lassen.

Kunst ist, wenn man, wie Dirk Brömmel aus Wiesbaden, mit den Grenzen der Wahrnehmung und der fotografischen Darstellung arbeitet und diese unter Einsatz der neuen digitalen Möglichkeiten erweitert UND dabei ästhetisch gelungene Werke herauskommen.

dirk_broemmel_Ar_Schiff_4

Dirk Brömmel: Schiff Nr. 4, 2003 (Querformat wegen der sonst zu geringen Größe gedreht.) Die Freistellung des Motivs betont seinen Objektcharakter, die gewählte Farbe das Artifizielle der Darstellungsform.

Neu ist dabei nicht, senkrecht von oben zu fotografieren, denn das kam schon in den Dreißigerjahren auf, als Künstler, wie beispielsweise Moholy-Nagy oder Man Ray, mit ungewöhnlichen Techniken und Perspektiven die Fotografie revolutionieren wollten. Jetzt ist das gerade wieder ein Thema, wie zum Beispiel auch bei Andreas Gefeller mit „Supervisions“ oder eben bei Dirk Brömmel mit „Kopfüber„, beide wurden mit irritierenden Ansichten von oben bekannt. Wie zu jeder Zeit in der Geschichte der Fotografie legt der Stand der Technik eine neue oder andere Verwendungsweise nahe. Den Impressionismus gab es auch erst dank der Einführung von Farbe in Tuben. Entscheidend bei den Arbeiten von Dirk Brömmel ist, wie er selbst formuliert, „das eigentlich nicht Darstellbare darstellbar zu machen. Gerade bei den Schiffen … geht es um das Spiel mit dem Faktor Zeit.“ Typisch für Brömmels Darstellungsweise ist dabei das Freistellen der Schiffe auf farbigem Untergrund.

Dirk_broemmel_Ar_Paule

Dirk Brömmel hat auch ein lustiges Foto in seiner Serie: Aktfotoshooting auf dem Kahn, 2005.

CF080025x

Foto von Bernhard Schmerl mit dem Titel „Sonntagsausflug“, 2009

Nun zeigt ein anderer Wiesbadener Fotograf, Bernhard Schmerl, eine Serie, bei der Boote in Farbflächen getaucht sind. Oberflächlich optisch gibt es Parallelen, inhaltlich und technisch eher weniger. Während man bei Brömmel in jedem Motiv den künstlerischen Gedanken und das perfekte Handwerk sieht (viele Belichtungen werden am Rechner kombiniert und das Motiv des Schiffes dann freigestellt), ist die Serie von Schmerl eine launige Sommergeschichte mit unterschiedlichen Exemplaren von überwiegend Freizeitschippern, die von einer Brücke ganz normal abgelichtet und dann mit Farbe umgossen wurden. Die einzige Irritation der Wahrnehmung kann hier nur durch das  Aufsteilen der Farbe ins Schrille ausgelöst werden. Schmerls Grundidee ist ja durchaus bestechend: Er legt den Fokus überwiegend auf das soziale Element, auf das anekdotische Berichten über die Selbstpräsentation von Bootsbesitzern. Hätte er sich eine eigene Art der optischen Präsentation überlegt statt farblich im Kielwasser der Brömmel-Motive zu schwimmen, wäre das eine akzeptable Serie, denn  natürlich darf jeder von Brücken auf Boote fotografieren. Zusätzlich stutzig macht allerdings der Titel: „Boat People“. Kann man diesen feststehenden Begriff, der für Vietnamflüchtlinge geprägt wurde, einfach so für das Fotothema Freizeitkapitäne übernehmen? Ob politische Flüchtlinge oder wohlhabende Wiesbadener – ist das alles eines? Schmerl kennt den Begriff und verwendet ihn mit dem Verweis, es handele sich um „moderne Freizeit- und Zivilisationsflüchtlinge“. Freizeitflüchtlinge?? Sieht so nicht eher gehobene, zivilisierte Freizeitgestaltung aus:

CF017087x

Bernhard Schmerl: „Zärtliche Bande“, 2009.

Die Serie von Schmerl macht umso deutlicher, wie innovativ und technisch perfekt die Arbeit von Dirk Brömmel ist.  Brömmels Serie ist ja nicht deswegen gut, weil er der erste war, der schwimmende Objekte auf Farbflächen freistellte, sondern weil das gelungene künstlerische Reflexionen über Perspektive und Wahrnehmung, Zeit und Bewegung sind. Die farbigen Flächen sind aber so eine Art Markenzeichen, und es verbietet eigentlich das Berufsethos, das eines anderen Fotografen zu übernehmen. Der Autor der „Boat People“ nennt seine freien Arbeiten übrigens selbst „Schmerlographie„.

9 Antworten

  1. In Ihrem Artikel haben Sie sich, Frau Dr. Mettner, mit Lobeshymnen als großer Fan der Arbeiten von Dirk Brömmel geoutet, was ich durchaus nachvollziehen kann und Ihr gutes Recht ist. Sie sollten aber die Fairness dabei nicht außer Acht lassen. So stellen Sie die Bilder Ihres Favoriten in mehr als doppelter Größe gegenüber meinen Arbeiten ins Netz, wodurch eine objektive Bewertung seitens der Leser erschwert wird.
    Darüber hinaus wählen Sie,um die Schiffe auf Konfrontations-
    kurs zu schicken,von beiden Fotografen u.a. die eher untypischsten Motive aus. Zum einen das kleinste Frachtschiff und gleichzeitig eine der seltenen Aufnahmen der Serie „Kopfüber“, wo vereinzelt noch Menschen zu erkennen sind, gegenübergestellt meinem größten und einzigen gewerblichen Personenfrachtschiff. Letzteres habe ich nur der Vervollständigung meiner Serie gemacht, in der es um Menschen geht, die sich in ihrer Freizeit als Freizeitkapitäne auf ihre Boote flüchten oder in der Masse auf einem Passagierschiff.
    Um es nochmals klarzustellen: ich habe meine Serie nicht gemacht, um im direkten Vergleich gegen die Arbeiten von Dirk Brömmel anzutreten. Seine Serie steht unangefochten für sich, meine Serie ist aus einem anderen Ansatz heraus entstanden. Das dabei die angesprochene Ästhetik nicht an die aufwendigst aus mehreren Einzelaufnahmen und fein getunten Aufnahmen der „Kopfüber“-Serie herankommt, liegt am Thema selbst. Mir war an ein Höchstmaß an Authentizität der Geschehnisse auf den Booten gelegen, was auch daran zu erkennen ist, dass fast alle Aufnahmen in direkter Sonne entstanden sind,was nicht gerade die Ästhetik fördert, aber dem Thema der „Freizeitkapitäne“ angemessen ist. Was sich ausserhalb der Realität auf den Booten befindet,das Wasser, habe ich eingefärbt, nicht zuletzt auch, um sich von den echten „boat people“ abzugrenzen und die eher heitere Stimmung meiner „boat people“zu verstärken. Das jetzt Ansprüche auf die Umgebungsfarben als Markenzeichen einzelner Fotografen angemeldet werden, kann ich nicht nachvollziehen. Die Perspektive von oben hielt ich für die Umsetzung meiner Absicht für die geigneteste, deshalb kam auch nur sie in Betracht.
    Kunst und Werbung,aus der ich ursprünglich komme, befruchten sich seit Jahren gegenseitig, es gibt viele Beispiele, wo die Kunst Anleihen aus der Werbung nimmt und umgekehrt. Neue Verknüpfungen oder Assoziationen machen eine Teil der Kreativität aus.
    Es darf nicht soweit gehen, dass man sich nicht mehr traut, in eine Museum zu gehen oder Bildbände anzuschauen, weil man Gefahr läuft, irgendwann bewußt oder unbewußt aus dem tiefsten Inneren etwas ans Tageslicht zu bringen, mit dem man sich irgendwo auf der Welt des Plagiatsvorwurfes ausgesetzt sieht.
    PS: „schmerlographien“ stehen für meine Lichtbildmalereien und nicht für das Projekt „boat people“

    1. Die Fotos sind so groß abgebildet, wie sie mir von den Fotografen/deren Webseiten zugänglich und genehmigt waren. Ich gehe selbstverständlich davon aus, dass Fotofeinkost-Leser auf die Fotografen-Webseiten gehen, um sich die Serie insgesamt anzusehen. Als Fotokritiker weise ich die Unterstellung, ein Fan zu sein, von mir. Ein Vergleich der beiden Serien erlaubt, sich ein paar Dinge klar zu machen. Und auf der Seite http://www.schmerlographie.de steht derzeit noch „Neu: Boat People“ mit Abbildung.

  2. Hallo Frau Mettner. Zwar haben Sie Recht mit ihrer Meinung. Aber den Eifer kann ich nicht nachvollziehen: Wie man auf den ersten Blick sieht, wenn man Schmerls Website betrachtet, ist er zwar ein sehr engagierter Amateurfotograf, aber seine sämtlichen Arbeiten können sich nicht mit Künstlern wie Brömmel messen. Seine Arbeit ist schlicht unerheblich.

  3. Hm, Hm, lese mir den Artikel jetzt zum 3. Mal durch, habe mich durch die Homepage gearbeitet und komme immer noch nicht zu einem abschliessenden Urteil. Nur so viel: „Boat People“ finde ich durchaus einen passenden Titel, warum nicht etwas Verwirrung stiften, oder die Arbeiten in diesen Zusammenhang setzen? Ich würde sogar soweit gehen, die Untertitel komplett wegzulassen. Nichtsdestotrotz ergibt sich m.M. nach aus der Einfärbung des Wassers die Gefahr des Vergleiches mit Brömmels Arbeiten, gar nicht mal so sehr aus der Thematik selbst. Konsequenterweise hätte ich mich für EINE Farbe entschieden, dann wäre m.M. nach eine Abgrenzung zu Brömmels Arbeiten vollzogen, die trotz der immer noch ähnlichen Thematik deutlicher ist. Ach, und davon mal abgesehen: Ich mag Dirk Brömmels Arbeiten sehr, aber auch die Schmerl-Serie macht mir Spass, auch wenn der theoretische Unterbau nicht ganz so verkopft oder intellektuell sein mag. Aber ich mag auch Erwitt und Parr…

  4. Mir gefällt der Gedankengang vom Grundsatz auch, die Problematik ist schließlich übertragbar und zeigt sich fast täglich. Besonders auch auf Plattformen wie Flickr, wo sich Profis und Amateure gleichzeitig tummeln und Ideenklau als Inspiration verpackt, zur internationalen Tagesordnung gehören.

    Die Idee, als Konzept im Kopf eines kreativen Menschen entstanden, ist für mich wichtiger als Technik. Wenn die noch dazu kommt, ist es perfekt, aber nicht immer notwendig oder sogar gewollt.

    Der Schiffskörpervergleich scheint mir allerdings auch deshalb etwas unglücklich. Apfel und Birne. Ich weiß nicht ob beide Profis sind, jedenfalls positioniert sich der eine (Brömmel) sichtbar als Künstler, der andere (Schmerl) eher als Gemischtwarenhändler mit durchaus professionellen, sehr guten Qualitäten. Fatal finde ich allerdings die Verquickung von Kunst und Reportage/Werbung. Das eine hat mit dem anderen überhaupt gar nichts zu tun und gehört auf keinen Fall auf die gleiche Homepage. Der Titel „Boat People“ ist sicher etwas unglücklich, aber eine Diskussion darüber akademisch.

    Ich finde beide Fotoserien interessant, sehe durchaus Unterschiede, aber bin auch geneigt, beiden anerkennendes Wohlwollen auszusprechen. Auf jeden Fall machen beide Serien Spaß, sie anzuschauen!

    MvM

  5. Eine äußerst interessante Diskussion. Dient sehr der Meinungsbildung. Wenn ich Fotos abfotografiere und als meine Fotos ausgebe, dann ist das nicht ok.

    Wenn ich aber selber Fotos mache, die ähnliche Motive und Positionen haben wie bei anderen vor mir, was soll daran nicht ok sein?

    Seitdem es die Fotografie gibt wird so fotografiert und nachfotografiert …

    Und was die Frage von Professionalität und Berufsethos angeht, na ja. Das ist offenkundig abhängig vom eigenen Interesse soweit ich das bisher erlebt habe.