Wie das Internet die Fotografie verändert

Es gibt eine ganze Reihe Idealvorstellungen eines Fotografen: Der rasende Reporter, der Abenteurer, der gefeierte Modefotograf. Doch das entspricht schon nicht mehr der wirtschaftlichen Realität, geschweige denn bietet es eine berufliche Perspektive für jene, die heute überlegen, Fotograf zu werden.

Seit Ende der Achtzigerjahre zeichnet sich der Niedergang der gedruckten Illustrierten ab. Die goldenen Jahre der Editorial-Fotografie endeten mit der Einstellung des FAZ-Magazins 1999. Schon damals konnte man in renommierten Magazinen wie GEO oder Merian nicht mehr nur Bildstrecken einzelner Fotografen, sondern eine Durchmischung von Auftragsarbeiten mit Bildagenturmaterial sehen. Heute müssen Fotografen in der Regel vorproduzieren und mit der Ungewissheit leben, ob ihre Arbeit je gedruckt und honoriert wird.

Die Mode findet umsonst und draußen statt

Ein besonders glamouröser Zweig der Fotografie ist die Modeaufnahme. Hoch bezahlte Models posieren, von Stylisten und Visagisten hergerichtet, vor dem von Assistenten umgebenen Fotografen. Publiziert werden solche Aufnahmen vorzugsweise in Modezeitschriften – entweder in redaktionellen Bildstrecken, aber auch im Anzeigenteil.

Die Frage, die sich Insider schon lange stellen: Wer will eigentlich Monate nach den Kollektionspräsentationen auf den Laufstegen noch sehen, was irgendein Stylist kombiniert und irgendein Fotograf in Szene gesetzt hat? Kennt man doch schon alles aus dem Internet. Und was das Styling angeht: Ist nicht das, was auf der Straße getragen wird, viel interessanter? Scott Schuman, ein New Yorker Blogger aus der Modebranche (The Satorialist) hatte damit angefangen, Personen auf der Straße zu knipsen, und war selbst überrascht über den (kommerziellen!) Erfolg, den er damit erzielte. Inzwischen hat er sich fotografisch verbessert, bekommt Aufträge für Anzeigenkampagnen und Editorials. Seine Fotos hingen sogar in einer Galerie und im August 2009 kam ein Bildband mit seinen Arbeiten heraus, der zum Bestseller wurde. Heute werden zu den Modeschauen und in die Ateliers nicht mehr nur Redakteurinnen von schicken Magazinen eingeladen, sondern vermehrt Vertreter der schnellen, nicht gedruckten Medien. Einige Modemagazine mussten ihr Erscheinen bereits einstellen. Auch in diesem Bereich wird es nur sehr wenige Fotografen geben, die noch dazu mit deutlich geringeren Budgets auskommen müssen.

Im Zeitalter der Augenzeugen

Bereits so gut wie erledigt hat sich die klassische Nachrichten- und Reportagefotografie. Seit 2005 beim Anschlag auf die Londoner U-Bahn zum ersten Mal Fotos direkt vom Unglücksort an die Medien gesendet wurden, sind wir alle Zeugen. Schon für die Berichterstattung über die Tsunami-Katastrophe am 26.12.2004 griffen die Medien zur Illustration wesentlich auf Film- und Bildmaterial von Touristen zurück. Und die Fotos der Mißhandlungen in Abu Ghraib stammten ebenfalls von Beteiligten und nicht von Journalisten. Institutionalisiert wurde die Publikation von Jedermann-Journalisten durch die Einführung des Leser-Reporters bei der Bild-Zeitung im Sommer 2006.

Wenn es eines Beweises für das Zeitalter der Augenzeugen bedurft hätte, dann lieferte ihn die Amtseinführung von Präsident Obama: Elliott Erwitt fotografierte bei einem der Bälle die ungezählten, aufleuchtenden Displays von Mobiltelefonen, mit denen der Präsident und seine Frau fotografiert werden. Nichts geschieht mehr undokumentiert. Jeder kann teilhaben und Informationen sind frei zugänglich. Kein totalitäres Regime kann heute noch verhindern, dass Dokumente von Übergriffen binnen Sekunden in die ganze Welt gesendet werden. Der Reporter samt Presseausweis wirkt gegen Telefone mit 12 Megapixel-Kameras und globale soziale Netzwerke wie ein Dinosaurier zwischen flinken Wieseln.

Das professionelle Fotografieren von Ereignissen hat seine Bedeutung eingebüßt. Natürlich wird es das auch weiterhin in gewissem Umfang geben, aber der Fotoreporter ist nicht mehr derjenige, der mit seinen Aufnahmen als einziger übermitteln kann, dass etwas passierte. Er ist seiner Funktion, für uns stellvertretend an einem weit entfernten Ort zu sein, um uns von dort Nachricht zu bringen, (bereits weitgehend) enthoben. Und damit ist er natürlich auch der Aura beraubt, die mit dieser Aufgabe einherging.

(Auszug aus: Wie man ein großartiger Fotograf wird – Wegweiser in eine Fotopraxis mit Zukunft.)

PS: Das sind natürlich nur zwei Gesichtspunkte zu einem in Entwicklung befindlichen Thema. Die globale Verfügbarkeit von Bildmaterial habe ich dabei schon gar nicht mehr erwähnt, weil sie inzwischen so selbstverständlich ist.

2 Antworten

  1. Die Zustandsbeschreibung ist ja richtig, die Wertung (Niedergang etc) muss man differenzierter betrachten. Richtig ist, dass durch die leichter verfügbare Technik mehr Fotos durch mehr Menschen erzeugt werden und hierdurch eine Demokratisierung stattfindet: der blosse Besitz des Produktionsmittels reicht eben nicht mehr aus, um sich von anderen zu unterscheiden.

    Aus diesem Grund wird z.B. die Bedeutung der Bildredaktion immer wichtiger und das ist etwas, was durch den Fotografen nicht beeinflussbar ist. Zwei Dinge sind wichtig. Erstens, zu verstehen, wie Wahrnehmung funktioniert; hieraus lässt sich der Erfolg von Schuman (und sogar der Leserreporter) erklären. Modefotografie hat einen technischen und ästhetischen Zustand erreicht, der in der Technikwelt als „over-engineered“ bezeichnet wird. Zweitens, wenn sich die technischen Rahmenbedingungen ändern, ändert sich auch die Ästhetik (im Sinne von aisthesis). Das Festhalten an der handwerklich alten Welt ist nur bedingt sinnvoll: ein altes Segelschiff ist sehr romantisch und es erfordert eine Menge handwerkliches Geschick es zu steuern; das Geld haben aber die Maschinisten auf den Dampfschiffen verdient.

    Die Welt der Mobiltelefone und der Leserreporter ist einfach da; wir können sie lediglich sinnvoll gestalten. Wenn das gelingt, wird sich keiner mehr über den Niedergang der vordemokratischen Aristokratie beschweren. Was hindert daran, eine Online Zeitschrift mit anspruchsvollen Bildstrecken zu gründen (der ‚Stern‘ ist auch nicht für seine redaktionelle Arbeit an den Texten berühmt)? iPad, blogs, websites,e-mail, twitter, micropayment -alles da, oder?